27/02/2021 - Automotive

TEXT: Bart Leannaert               Fotos: Lise Demol

FIAT 8V

Zagato, sprich: Otto Vu

Einen Fiat 8V bekommt man nicht alle Tage zu Gesicht. Aber ein Ghia Supersonic und ein Zagato auf einmal, das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen.

TEXT: Bart Leannaert               Fotos: Lise Demol

FIAT 8V

Zagato, sprich: Otto Vu

Einen Fiat 8V bekommt man nicht alle Tage zu Gesicht. Aber ein Ghia Supersonic und ein Zagato auf einmal, das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen.

Longines World’s Best Racehorse

Bernard Marreyt in seiner Werkstatt kann stolz sein. Fiat hat insgesamt nur 114 Otto Vu gebaut. Sechs sind schon durch die Hände des belgischen Fachmanns für Classic Cars gegangen. Heute stehen im Showroom in Aalst sogar zwei auf einmal! Ein feuerroter mit einer Aluminium-Leichtmetallkarosserie, gezeichnet Zagato und noch schöner als der erste (falls das möglich ist): ein schwarzer Ghia Supersonic. Schon beim ersten Blick auf dieses Auto wird deutlich, woher er seinen Namen hat. Die Proportionen sind so verblüffend, die Formen so psychedelisch, der Chrom so glänzend, dieses Auto kann nur aus dem Jet-Zeitalter stammen, den strahlenden 50er Jahren, in denen Amerika auf dem Eroberungszug der Lüfte und des Weltalls war. „ Wie eine Jukebox auf Rädern“, lacht Marreyt.

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Der prächtige Supersonic sieht wertvoller aus, aber der ­Eindruck täuscht. Für den Zagato muss man mehr ­hinlegen

Lehrling

Der prächtige Supersonic sieht wertvoller aus, aber der ­Eindruck täuscht. „Für den Zagato muss man mehr ­hinlegen“, sagt Marreyt. Dem Fachmann zufolge ist das zum Teil dem Zagato-Effekt zuzuschreiben. Ein Aston DB4 Zagato ist ­mindestens dreimal so teuer wie ein normaler DB4 GT. Dasselbe gilt für den Lancia Flaminia Zagato im Vergleich zum normalen Modell. Aber laut Marreyt gibt noch andere Gründe, warum der Zagato so hoch geschätzt wird: „Der Otto Vu ist ein reiner Rennwagen. Mit seiner schlichten und ­leichten Karosserie ist der Zagato die schönste Verkörperung des Otto Vu-Konzepts. Viel schöner als der Supersonic mit seinen ­ausladenden Überhängen und Chromteilen.“ ­Marreyt findet den Zagato sogar eleganter: „Den Supersonic kann man irgendwann nicht mehr sehen, aber vom Anblick des Zagato ist die Netzhaut immer wieder geschmeichelt“, ­erläutert er in seiner bildreichen Ausdrucksweise. Dabei lässt die ­Verarbeitungsqualität der Zagatos manchmal zu wünschen übrig.

Longines World’s Best Racehorse

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„Man könnte manchmal heulen, wissen Sie. Man könnte meinen, die Schweißnähte hat ein Lehrling verbrochen. Da wurde bei Touring oder Pininfarina besser gearbeitet. Aber gut, Zagato fertigte Rennautos, die dazu ­geschaffen waren, ein paar Rennsaisons lang zu punkten, und nicht dazu, ­jahrelang gehätschelt zu werden.“ Marreyt nennt keine Zahlen, aber bei einem Otto Vu geht es immer um stolze Beträge. Das hält ihn nicht davon ab, sie per Telefon zu verkaufen: „Wenn Sie einen wollen, müssen Sie schon etwas hinlegen, so selten wie sie sind.“

Rückblick

Dass es den Otto Vu überhaupt gibt, ist eigentlich schon ­erstaunlich. In den 50er Jahren gehörte Fiat bereits zu den Massenherstellern und baute bevorzugt Kleinwagen und günstige Limousinen. In den Nachkriegsjahren galten die Modelle des Turiner Autobauers sogar als schlichtweg ­veraltet. Aber auf dem Genfer Automobilsalon von 1952 stellt Fiat ­plötzlich einen unglaublich glanzvollen Rennwagen mit einem leistungsstarken 8-Zylinder-V-Motor und Einzelradaufhängung an allen vier Rädern vor. Das war, als würde man heute in den Fiat-Showrooms einen Supersport wie den Ferrari 488 Pista ausstellen. Es kann also kaum überraschen, dass es der Hersteller nicht geschafft hat, mehr als 114 Stück zu verkaufen.

Aber warum wurde dieses Modell dann überhaupt gebaut? Weil man den Motor auf Lager hatte. Einige Jahre zuvor war der Motor dem genialen Kopf von Dante Giacosa entsprungen, da die Unternehmensleitung damals der Meinung war, dass eine Großlimousine von Fiat mit einem V8 in Amerika gewinnbringend sein würde. Der V8 mit 2 Liter Hubraum, einer Nockenwelle und einem Winkel von 70° zwischen den Zylinderbänken lief schon, als die Verantwortlichen ­entschieden, das Projekt aufzugeben. Nicht tragfähig, befand man, und der Motor wäre beinahe im Stahlarchiv gelandet. Aber eines Abends, nach einem reichlich begossenen Essen in der berühmten Trattoria Urbani entstand ein weitaus ­kühnerer Plan: Was wäre, wenn man den Motor für einen echten Rennwagen präparieren würde? Ein Fiat, der dem Alfa 1900 und dem Lancia Aurelia in der damals sehr beliebten Kategorie Gran Turismo der 2L-Motoren und kleiner die Show stehlen würde? Mit einer guten Einzelradaufhängung könnte er mit den Ferrari und Maserati mithalten, die sich in jenen Jahren das Siegerpodium teilten. Die 105 PS des V8 waren zwar nicht sehr beeindruckend, aber die zwei Liter Hubraum der besten Wettbewerber waren auch kaum besser.

Um den Motor herum baute Luigi Rapi eine schöne handgehämmerte Karosserie. Nach einer ersten Serie mit 34 Fahrzeugen ging Fiat dazu über, den großen ­Karosseriebauern der Region Fahrzeuggestelle zu verkaufen: Pininfarina nahm nur ein Exemplar ab, Vignale, Zagato und Ghia hingegen zeigten mehr Enthusiasmus.

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Brüder

Wir haben vor uns die beiden Pole desselben Geschlechts, zwei Blutsbrüder, die aber unterschiedlicher kaum sein könnten. Der Ghia Supersonic ist das ideale Vehikel einer Betty Boo oder der Königin von Saba, aber wen könnte man sich anderes am Steuer des Zagato vorstellen als Fangio oder Moss? Der auffällige Supersonic, der sein Design dem unabhängigen Automobildesigner Giovanni Savonuzzi verdankt, ist im heutigen Straßenverkehr so unübersehbar wie ein ­Formel-1-Rennwagen auf einer Autobahn. Bei unserem Exemplar (Nr. 36) ­handelt es sich um das Ausstellungsfahrzeug, das 1953 auf dem Pariser Autosalon zu sehen war. Damals war die Karosserie weinrot lackiert und die Innenausstattung in beige gehalten. Der Wagen wurde dann an den japanischen Konsul in Paris verkauft und erhielt irgendwann einen einfachen V8 Simca, bevor er irgendwo auf einer Alm in der Schweiz in den ­Ruhestand geschickt wurde. Heute befindet sich der Wagen im belgischen Alost und trägt außen schwarz und innen rot. Dabei ist er von innen vielleicht noch schöner als von außen: Drei-Speichen-Lenkrad in Holz, vertiefte Zähler im ­Armaturenbrett, mit zahlreichen Ziffernblättern, die den Puls der Maschine anzeigen. Die Sitze sind wunderschön, auch wenn der Seitenhalt etwas zu wünschen übrig lässt.

Herausforderung

Der V8 läuft mit einem aggressiven Dröhnen an und fängt dann an zu singen. Weder träge wie ein amerikanischer V8, noch dominierend wie die Motoren von BMW. Eher frisch und lebendig, nach italienischer Art. Man spürt allerdings, dass der Motor nicht sofort für den Rennsport geschaffen wurde. Man muss ihm erst etwas Zeit zum Warmwerden geben, bevor man auf Touren gehen kann, um zu sehen, was in ihm steckt: unter 3000 Umdrehungen passiert so gut wie nichts.

Der Fiat braucht rund zehn Sekunden, um auf 100 km/h zu kommen und erliegt bei 190 km/h den ­Windeinflüssen. ­Schnell und ohne Exzesse. Auch für die damalige Zeit. Fiat wurde sogar einmal von einem Kunden aufgefordert, ihm zu zeigen, wie sie diese angekündigte, bescheidene ­Spitzengeschwindigkeit wohl erreichen könnten. Um den Motor richtig auszukosten, darf man ruhig die ­Gangschaltung ­einsetzen, um immer im höheren Drehzahlbereich zu ­bleiben. ­Glücklicherweise sind die vier Gänge leicht zu finden und ­einigermaßen ideal abgestuft. Nur die Synchronringe ­verlangen ein wenig Fingerspitzengefühl. Im zweiten und dritten Gang hilft ein bisschen mehr Gas am Totpunkt, um reibungslos in den nächsten Gang zu kommen.

Dank der Effizienz von Fahrgestell und Aufhängung reichen die 105 PS allerdings, um auf ansehnliche Geschwindigkeiten zu kommen. Die Bodenhaftung ist perfekt, der Wankwinkel auf ein Mindestmaß beschränkt, die Vorderachse ­temperamentvoll und genau. Der kurze Radstand lässt zunächst den Eindruck entstehen, dass der Wagen hüpft, aber sobald man beschleunigt, verschwindet dieser Eindruck völlig. Ganz wie es sich für einen Rennwagen gehört. Dieser ­kompakte Fiat ist so viel ausgeglichener als heutige ­Modelle von BMW oder Mercedes, was den ­Leistungsunterschied ­weitgehend kompensiert. Insbesondere die Lenkung ist ­auffallend gut gelungen: keinerlei Schwerfälligkeit, sehr konstant und direkt. Der Wagen geht millimetergenau in die Kurve. Der Otto Vu bleibt lange neutral, bevor er sich unter der Einwirkung des Motorgewichts auf den vorderen Teil des Fahrzeugs eine Untersteuerung gestattet. Bei einem ­kräftigen Tritt auf das Bremspedal reagieren die ­Bremstrommeln der vier Räder ­korrekt. Im modernen Verkehr sollte man ­allerdings aufpassen.

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Scharf

What a wonderful car the Supersonic is! In ­comparison, the Zagato creates some very different impressions. ­Unquestionably less chic, the interior is very functional and almost intimate. Two compact bucket seats, plain dashboard, long gear stick, elegant alcantara on the ceiling. Other than that, there is nothing superfluous. No luxury. But who would complain about that in a race car? The driving position is better: close to the steering wheel with your nose in the ­instruments. The Supersonic driver is seated much lower, towards the rear. That’s the price you pay for unique proportions.

Was für ein Auto, dieser Supersonic! Danach wirkt der Zagato ganz anders. Der sehr funktionale, beinahe intim wirkende Innenraum hat ohne Zweifel weniger Chic. Zwei kompakte Schalensitze, ein funktionales Armaturenbrett, ein langer Schalthebel, ein eleganter Alcantara-Himmel. Ansonsten nichts Überflüssiges. Kein Luxus. Aber wen stört das in einem Rennwagen? Die Fahrposition ist besser: näher am Steuer, die Instrumente direkt vor der Nase. Der Fahrer des ­Supersonic sitzt viel tiefer und weiter hinten. Das ist der Preis für ­einzigartige Proportionen.

Mit dem Pedal am Anschlag ist die Haptik ähnlich wie beim Supersonic, aber einen Tick intensiver. Als hätte man dem Wagen etwas mehr Schärfe geben wollen. Dabei sind die Unterschiede von technischer Warte gering: Eine ­überarbeitete Nockenwelle, ein Lufteinlass aus Aluminium und gleich lange Auspuffrohre unterstützen die Atmung des Motors, der mit etwas mehr Schärfe brummt. Aber die ­eigentliche ­Weiterentwicklung liegt im Gewicht. Der Unterschied ist nicht spektakulär, denn mit seiner Aluminiumkarosserie ist der Supersonic bestimmt kein Dickhäuter. Nur ist die Haut des Zagato so dünn wie ein gut geschnittenes Carpaccio. Eine zu ungestüme Bewegung, und schon hinterlässt ein ­ungeschickter Fuß eine Beule. Die Gewichtseinsparung beträgt keine

40 kg, aber unter der Tonne macht das den Unterschied ­zwischen einem ausgezeichneten Fahrverhalten und einem fantastischen Fahrverhalten. Der Zagato ist sogar noch schöner, wenn der Asphalt unter seinen schmalen Rädern vorbeizieht. Seine gut auf den Borrani ruhenden ­Proportionen werden dann zu sich streckenden Muskeln. Ein echter ­Rennwagen, dieser Otto Vu. Wer würde daran noch zweifeln?

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